tab11 

 

Wenn Menschlichkeit klebt

 

tab38 

 

 

 
Wie steht man das durch, traurig sein? Wie begegnet man Traurigkeit? Wie zeigt man Trauer nach außen, jemandem oder gar vielen? Wie machst du das? Tust du das? Wie reagierst du, wenn du siehst oder spürst, dass jemand in deiner Nähe traurig ist? Gehst du dann hin und machst irgendwie, dass er oder sie nicht mehr traurig ist? Und wie geht irgendwie? Oder kann man da gar nichts machen? Viele Fragen, schwierige Fragen - Antworten?
Wir sind der Traurigkeit begegnet im Jüdischen Historischen Institut Jüdisches Historisches Institutin Warschau. Wir sahen einen Film über das Leben und das Sterben der Juden im Warschauer Ghetto. Auf der Leinwand sahen wir vor Hunger ausgemergelte Körper in den Straßen des Ghettos, manche noch lebend, aber nicht mehr lebendig. Wir sahen in die Augen von Menschen, die in die Kamera blickten, aber nichts mehr wahrnahmen. Wir sahen, wie die Körper von der Straße aufgesammelt und auf Leichenwagen geworfen wurden, so wie heute Müllsäcke auf Müllwagen geworfen werden oder Tannenbäume nach Weihnachten auf Lastwagen oder wie Heuballen auf Anhänger bei der Heuernte. Wir hörten die Geschichten von Juden aus dem Ghetto, Geschichten von Verlust, von Abschied, von Schmerz und von Tod.
Wir waren erschrocken zuerst, am Anfang unsicher, wie jeder von uns auf die Bilder reagieren könnte, aber vor allem waren wir traurig. Es sind viele Tränen geflossen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu ganz unterschiedlichen Bildern oder Worten. Wir selbst hatten keine Worte, konnten und wollten die Trauer nicht erklären; sie war ja auch offensichtlich. Wir haben uns manchmal in den Arm genommen und dann weiter geweint oder wir sind von Neuem angefangen. Wir haben viel Zeit mit Weinen zugebracht in aller Öffentlichkeit im Durchgang des Museums vor den Augen der Angestellten und der anderen Besucher, die nicht wirklich wussten, wie sie mit uns umgehen sollten.
wenn Menschlichkeit klebtWir haben auch noch geweint, als Herr Kuzba uns wieder abholen wollte, um mit uns auf den jüdischen Friedhof zu gehen. Wir waren alle sehr aufgewühlt und niedergeschlagen. Herr Kuzba ging dann wieder; einige von uns hatten seine Anwesenheit gar nicht bemerkt. Nach kurzer Zeit kam er aber wieder zurück mit einer Tüte voller Berlinern und der einfachen Erklärung: „ Die Kinder muss man jetzt stärken!“ Die Kuchen waren klebrig und süß; die Marmelade tropfte uns auf die Finger. Viele von uns hatten keinen Hunger, aber genommen haben wir alle von den Berlinern. Spüren, dass man in seiner Trauer als Mensch wahrgenommen wird, kann man manchmal, wenn die Finger klebrig sind von Marmelade und Zucker.

 

tab42 

tab52 

tab649 

 

 

 

tab29 

 

 

 

 

zurück

weiter

 

 

 

 

 

 

Persönliche Texte

Spurensuche

Anleitung

Tagebuch

persönliche Texte

Sachtexte

Methoden

Puzzle

Gästebuch

Buch und Film

Links

tinte_blu_ic